- Abfallentsorgung und Recycling
- Abfallentsorgung und RecyclingEin möglichst hohes wirtschaftliches Wachstum gilt als Voraussetzung dafür, neue Arbeitsplätze zu schaffen, die Staatsfinanzen zu sanieren und soziale Absicherungen zu stabilisieren. In Deutschland werden nach dem »Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft« aus dem Jahr 1967 Geldwertstabilität, Vollbeschäftigung, außenwirtschaftliches Gleichgewicht und letztlich wirtschaftliches Wachstum als Ziele staatlicher Wirtschaftspolitik verstanden. Bestrebungen, dieses »magische Viereck« um ein fünftes Hauptziel, nämlich die Bewahrung einer intakten Umwelt, zu erweitern, sind bis heute gescheitert. Allerdings führt gerade die Ausrichtung der Produktion auf quantitatives Wachstum einerseits zu einem enormen Ressourcenverbrauch und andererseits zu einem stetig wachsenden Abfallaufkommen, sofern keine Gegenmaßnahmen ergriffen werden.Produktionsspezifische AbfälleIn Statistiken wird das Abfallaufkommen nach Wirtschaftsbereichen in die Sektoren Energie- und Wasserversorgung, Bergbau, verarbeitendes Gewerbe, Baugewerbe, Krankenhäuser, Abfälle aus der öffentlichen Hand (wie Straßenreinigung und kommunale Kläranlagen) und aus privaten Haushalten, Kleingewerbe und Dienstleistungsbetrieben aufgeteilt. Von den 1950er- bis in die frühen 1980er-Jahre haben sich die jährlich anfallenden Abfallmengen in der damaligen Bundesrepublik Deutschland verdoppelt; seit etwa Mitte der 1980er-Jahre sinken die Gesamtmengen. Besonders im gesamten produzierenden Gewerbe zeichnet sich ein deutlicher Rückgang des Abfallaufkommens ab. Diese Zahlen geben allerdings keine Auskünfte darüber, ob der Rückgang aus Veränderungen der Produktionsmenge kam oder ob pro produziertem Produkt weniger Abfall angefallen ist.Interessant ist, dass nur sechs Industriezweige — insbesondere die chemische Industrie, Gießereien, Straßenfahrzeug- und Maschinenbau — zusammen rund 84 Prozent des gesamten Aufkommens an Sonderabfall des verarbeitenden Gewerbes produzieren.Zwei Probleme der heutigen Gesellschaft werden seit den 1970er-Jahren mehr oder weniger heftig erörtert, nämlich die Erschöpfung nicht regenerierbarer Ressourcen und die zunehmende Belastung von Mensch und Umwelt durch Abfallstoffe. Anfang der 1960er-Jahre tauchte ein Schlagwort auf, das einen dann seit den 1980er-Jahren immer stärker in die Praxis umgesetzten Ansatz beschreibt: Recycling — die Rückführung von Produkten und Materialien in den Kreislauf. Warum wuchs die Bedeutung des Recycling in den letzten Jahren so stark?Der erste Gund dafür ist die Erkenntnis, dass Rohstoffe knapp und ihre Vorräte begrenzt sind. Dass gewisse Güter knapp sind, ist nichts Außergewöhnliches. Knappe und erschöpfbare Güter sind aber Gegenstand wirtschaftlichen Denkens, da sie mit sinkendem Angebot einen größeren Wert bekommen.Als zweiten Grund kann man die verstärkte Nachfrage nach einer intakten Umwelt anführen, die stetig abnimmt, da mit zunehmender Industrialisierung und wachsender Produktion die Menge der Emissionen, die an Luft, Wasser oder Boden abgegeben wurde, zunahm. Der steigende Wohlstand und die Veränderung des Konsums ließen auch die Müllberge wachsen.Bei der Produktion von Gütern wird der Umwelt Material entzogen. Diese Ressourcen werden als Input bezeichnet. Die Rohstoffe werden bei der Produktion umgewandelt und bilden den Ausstoß, den Output. Er enthält sowohl das erwünschte Produkt, den erwünschten Output, als auch Abfälle und Emissionen, den unerwünschten Output, der an das ökologische System abgegeben wird. Diese »Nebenwirkungen«, die bei der Herstellung eines Produkts entstehen, werden Nonprodukte genannt.Um die Nonprodukte zu verringern, sind prinzipiell zwei Ansätze denkbar. Man kann entweder während oder aber nach Abschluss der Produktionsphase, in der das unerwünschte Nonprodukt entsteht, eingreifen. Im ersten Fall wird entweder die anfallende Menge des Outputs an Nonprodukt so gering wie möglich gehalten, oder die problemverursachenden Eigenschaften des Nonprodukt-Outputs werden abgeschwächt. Im zweiten Ansatz geht es um den Umgang mit dem entstandenen unerwünschten Output. Allgemein kann jedes unerwünschte Material an die Umwelt abgegeben, gelagert, aufbereitet oder aber wieder in einen Nutzungsprozess eingebunden werden. Im letzten Fall spricht man von Recycling oder (Wieder-)Verwertung.Bei den verschiedenen Recyclingtechnologien versucht man nun, einen Kreislauf herzustellen, bei dem der Nonprodukt-Output derart verarbeitet wird, dass er der Produktion wieder als Input dient. Damit strebt man nicht nur eine Verbesserung der Umweltqualität — insbesondere die Verringerung der Abfallmenge — an, sondern auch eine Schonung der Rohstoffvorkommen. So gesehen sind Ökonomie und Ökologie zwei Systeme, die durch Materialströme (»Stoffströme«), nämlich Input- und Outputströme, miteinander verbunden sind.RecyclingtechnologienMan kann primäres, sekundäres und tertiäres Recycling unterscheiden. Beim primären Recycling werden Produktionsrückstände direkt in den Produktionskreislauf zurückgeführt. Dies setzt voraus, dass sie rein anfallen oder getrennt gesammelt werden. Von einem sekundären Recycling spricht man, wenn Stoffe aus einem Abfallgemisch durch Sortierung als Wertstoffe herausgeholt und zurückgeführt werden. Werden Abfälle biologisch, thermisch oder chemisch aufbereitet, spricht man vom tertiären Recycling.Häufig unterscheidet man auch nach dem Verwendungszweck die drei Recyclingkategorien Wiederverwendung, Wiederverwertung und Weiterverwertung (oder, was das Gleiche ist, Weiterverwendung). Bei der Wiederverwendung wird das Gut für den gleichen Verwendungszweck nochmals genutzt, gegebenenfalls nach Vorbehandlung. Unter Wiederverwertung versteht man die Rückgewinnung und stoffliche Verwendung der Werkstoffe. Der Abfall wird dazu in seine physischen Bestandteile zerlegt, die Materialien werden aufgearbeitet und dann im ursprünglichen Einsatzbereich erneut eingesetzt. Beispiele sind die Aufbereitung von Schrott, Altglas und Altpapier. Dagegen werden die Abfallstoffe bei einer Weiterverwertung nach der Aufarbeitung in einem anderen, technisch niederwertigeren Fertigungsbereich eingesetzt.Behandlung und Beseitigung von SonderabfallSonderabfall — auch als Sondermüll, Giftmüll, produktionsspezifischer, problematischer, gefährlicher oder besonders überwachungsbedürftiger Abfall bezeichnet — kann aufgrund seiner Zusammensetzung oder Menge nicht zusammen mit den im Haushalt anfallenden Abfällen beseitigt werden, er muss also gesondert gelagert und behandelt werden. Oft ist er in besonderem Maß gesundheits-, luft- oder wassergefährdend, explosibel oder brennbar, enthält Erreger von übertragbaren Krankheiten und erfordert im Hinblick auf Sicherheits- und Schutzvorkehrungen einen besonderen Beseitigungsaufwand.Im günstigsten Fall lassen sich unschädliche Stoffe erzeugen, etwa ungiftige Gase, in Vorfluter oder in eine kommunale Kläranlage einleitbares Abwasser und feste Rückstände, die auf »normale« Deponien gebracht werden können. In den meisten Fällen ist dies aber nicht möglich. Dann bleiben nur Verfahren, die den Sonderabfall chemisch so vorbereiten, dass seine schädlichen Rückstände in geeigneten Deponien, nämlich in Endlagern, abgelagert werden können. Dies sind Untertagedeponien oder oberirdische Hochsicherheitsdeponien, die den vorbereiteten Sonderabfall für sehr lange Zeit zuverlässig einschließen sollen.Je nach Beseitigungsverfahren kann man Sonderabfälle folgendermaßen einteilen: (1) Abfälle, die ohne Vorbereitung wieder aufbereitet werden können und so in den Wirtschaftskreislauf zurückgeführt werden (wie etwa Lösungsmittel nach Destillation); (2) Abfälle, die ohne Vorbehandlung in Sondermüllverbrennungsanlagen verbrannt werden können. Es handelt sich hierbei in erster Linie um feste, pastöse oder flüssige organische Stoffe mit hohem Heizwert (zum Beispiel Ölschlamm, Altöle); (3) Abfälle, die ohne Vorbehandlung auf qualifizierten Sondermülldeponien abgelagert werden können (wie Salzschlacken, entgiftete und entwässerte Schlämme, ölverunreinigtes Erdreich); schließlich (4) Abfälle, die sich aufgrund ihrer physikalischen, chemischen oder toxikologischen Eigenschaften nicht einer der vorgenannten Kategorien zuordnen lassen und die einer Vorbehandlung bedürfen, bevor sie deponiert werden können (wie Säuren, Laugen, Galvanikschlämme).Chemisch-physikalische Verfahren zur Behandlung von SonderabfällenDie chemischen, physikalischen und toxikologischen Eigenschaften von Sondermüll lassen sich mit chemisch-physikalischen Verfahren so verändern, dass er oder seine Rückstände deponiert werden können. Wichtig sind folgende vier Verfahren:(1) Öl-Wasser-Gemische (Emulsionen) werden entmischt, also in Öl und Wasser getrennt. Öl und gegebenenfalls ölhaltiger Schlamm werden verbrannt.(2) Durch chemische Umsetzung kann man toxische Stoffe eliminieren, wobei oftmals mehrere Behandlungsschritte notwendig sind. Meist erfolgt die Umsetzung in stationären Entgiftungsbecken und -behältern.(3) Anorganische Flüssigkeiten und Schlämme sind häufig nicht neutral, haben also keinen pH-Wert von 7, sondern sind sauer oder basisch. Deshalb werden Dünnschlämme aus der Industrie oder aus den Entgiftungsanlagen durch gegenseitige Mischung und durch Zugabe von Säuren und Laugen neutralisiert, dazu werden Säuren so lange mit Basen gemischt, bis ein pH-Wert von 7 vorliegt.(4) Die Bildung fester Niederschläge kann man zum Abtrennen von Substanzen und zur Verfestigung von Schlämmen ausnutzen: Aus Dünnschlämmen kann man durch chemische Fällung (Bildung eines fes- ten Niederschlags nach Zugabe einer Substanz, des Fällungsmittels) und anschließende Entwässerung Schlämme mit einer stichfesten Konsistenz erhalten. Der Wassergehalt beträgt dann rund 60 Prozent. Durch Fällung lassen sich auch Metalle aus wässrigen Lösungen abscheiden. Dazu überführt man sie in unlösliche Verbindungen, häufig in Metallhydroxide, die man anschließend durch Filtration aus dem Wasser abtrennt (entfernt). Die mit diesen Verfahren erzeugten Feststoffe — beispielsweise die Filterkuchen — müssen meistens einer Sondermülldeponie zugeführt werden.Verbrennt man flüssigen oder pastösen Sondermüll, der nur aus Kohlenwasserstoffen besteht, so wird er fast vollständig in Kohlendioxid und Wasserdampf umgewandelt. Aus vielen anderen Substanzen können sich in Verbrennungsanlagen jedoch Schadstoffe bilden. So kann das entstehende Rauchgas eine Vielzahl an Schadstoffen enthalten — abhängig von der Art des verbrennenden Sondermülls und den im Verbrennungsraum herrschenden Bedingungen. Es muss daher gereinigt werden.In Sondermüllverbrennungsanlagen entsteht neben festen Rückständen in der Regel auch Abwasser, das nicht ohne Aufarbeitung in Vorfluter eingeleitet werden darf. Die festen Rückstände müssen in der Regel auf Sondermülldeponien gelagert werden. Es bleibt also letztlich das Problem der zu deponierenden, oftmals gefährlichen Reststoffe. Positiv bei der Verbrennung ist, dass sie die Abfallmenge deutlich reduziert und dass einige im Abfall enthaltenen Schadstoffe durch die Verbrennung vernichtet werden. Die in Müllverbrennungsanlagen erzeugte Wärme lässt sich zum Heizen oder auch zur Stromerzeugung nutzen.BeseitigungstechnikenEinige gefährliche Abfälle lassen sich nur dadurch beseitigen, dass man sie in einem Endlager sicher deponiert und auf diese Weise dem ökologischen Kreislauf entzieht. Bei über Tage eingerichteten Hochsicherheitsdeponien werden durch technische Maßnahmen mehrere unabhängige Sicherheitsbarrieren angelegt, die einen Eintritt von Niederschlagswasser (Regen, Schmelzwasser) in die Deponie und den Austritt von Schadstoffen aus der Deponie möglichst zuverlässig verhindern sollen.Die Ablagerung in Untertagedeponien lässt sich in Deutschland nach dem derzeitigen Erkenntnisstand praktisch nur in einem stillgelegten Salzbergwerk realisieren. Die Kosten sind sehr hoch. In Untertagedeponien werden deshalb nur solche Abfälle eingelagert, die sich nicht mit einem vertretbaren Aufwand in unbedenkliche Stoffe umwandeln lassen, die aber dem ökologischen Kreislauf unbedingt entzogen werden sollen. Auch dürfen aus physikalisch-chemischen Gründen bestimmte Abfälle nicht unter Tage deponiert werden. Der Sondermüll wird zunächst chemisch so aufbereitet (»konditioniert«), dass die gefährlichen Stoffe auch im Fall eines Wassereinbruchs nicht ausgelaugt werden und sich nicht ausbreiten können. Der konditionierte Sonderabfall wird in geschlossenen Gebinden verpackt und ins unterirdische Endlager eingebracht.Sonderabfälle, die in einem Endlager deponiert werden sollen, müssen — auch über sehr lange Zeiträume — in fester Form vorliegen. Ihre (gemeinsam eingelagerten) Inhaltsstoffe dürfen chemisch nicht miteinander reagieren. Die Sondermülldeponie darf auch nicht zur Ablagerung organischer Verbindungen benutzt werden. Extrem wichtig ist, dass die Bestandteile des Abfalls und ihre Zersetzungsprodukte die natürlichen, geologischen Barrieren — etwa den umgebenden Salzstock — und die technischen Barrieren — beispielsweise die Einschlussmaterialien und Gebinde — intakt lassen.Die Barrieren müssen so lange stabil und dicht bleiben, wie der eingelagerte Inhalt gefährlich ist — sie müssen also mindestens die »Lebensdauer« der oft sehr stabilen und sich nur langsam zersetzenden gefährlichen Substanzen überstehen. Die technischen Systeme müssen wartungsfrei funktionieren; sollten sie versagen, müssen die natürlichen Barrieren, etwa der Salzstock, eine Schadstoffausbreitung zuverlässig verhindern.Andere Methoden der Abfallbeseitigung — etwa dasVerklappen oder Versenken von Sonderabfall im Meer und die Verbrennung von gefährlichen Abfällen auf hoher See — sind ökologisch fragwürdig, da sie Schadstoffe in die Umwelt (hier: ins Meer) eintragen; zwar stark verdünnt, aber auch weiträumig verteilt. Verklappung und Verbrennung auf hoher See sind in Deutschland eingestellt; einige Staaten praktizieren sie jedoch noch.Auch in alten, längst stillgelegten Deponien und an vielen anderen Stellen findet man im Boden und oberflächennahen Untergrund Schadstoffe. Sie wurden dort vor langer Zeit abgelagert. Solche Altdeponien, meist von Industrie- und Gewerbebetrieben, bilden ein schwerwiegendes Erbe der Vergangenheit, über dessen Tragweite man sich erst Ende der 1970er-Jahre bewusst wurde. Heute werden nicht nur Altdeponien und »wilde« (ungenehmigte) Ablagerungen, sondern auch alle sonstigen alten Bodenkontaminationen unter dem Begriff Altlasten zusammengefasst und als heimtückische »Zeitbomben« im Boden begriffen. Das Ausmaß der Gefährdung kann zurzeit nur erahnt werden, da die Menge, die chemische Zusammensetzung sowie die Wirksamkeit der giftigen Bodensubstanzen auf den Menschen nur unzulänglich bekannt sind.Ein Umweltgutachten, das der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen 1978 veröffentlichte, prägte den Begriff »Altlasten«. »Alt« meint, dass die Anlagen stillgelegt sind, eine Ablagerung von Stoffen heute nicht mehr erfolgt oder dass sie vor In-Kraft-Treten einschlägiger Gesetze betrieben wurden. Der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen bezog sich in diesem Gutachten von 1978 vorerst nur auf die Risiken der rund 50 000 Altdeponien und wilden Ablagerungen. Es stellte sich bald heraus, dass nicht nur frühere Missstände bei der Abfallbeseitigung zu Altlasten führen können, sondern auch die wirtschaftlichen Aktivitäten selbst. Zu den von dem Rat 1978 angesprochenen alten Ablagerungsplätzen, den Altablagerungen, kommen die Grundstücke stillgelegter Anlagen der gewerblichen Wirtschaft oder öffentlicher Einrichtungen hinzu, von denen durch die Verunreinigung des Erdreichs eine Umweltgefährdung ausgehen kann. Für derartige Grundstücke hat sich der Begriff »Altstandorte« eingebürgert. Auch Korrosionen von Leitungssystemen, defekte Abwasserkanäle, abgelagerte Kampfstoffe, unsachgemäße Lagerung wassergefährdender Stoffe und andere Bodenkontaminationen können zu Altlasten werden.Die Ursachen für die Entstehung von AltlastenDie Schadstoffbelastungen des Bodens und der Gewässer sind Folge der Industrialisierung seit Mitte des 19. Jahrhunderts. Durch Unterbewertung des Gefährdungspotenzials, oft aber durch sorglosen und leichtfertigen Umgang nicht nur mit Abfällen, sondern auch mit Betriebsstoffen sowie durch undichte Leitungs- und Kanalsysteme und beim Abbruch von Betriebsanlagen kam es häufig zur Verunreinigung von Böden und Untergrund auf dem Betriebsgelände und in dessen Umgebung.Einen besonders großen Anteil an Boden- und Wasserverunreinigungen haben ehemalige Hausmüll-, Sondermüll-, Industriemüll- und Bauschuttdeponien. Der Grund dafür liegt in der Tatsache, dass bis in die 1970er-Jahre Abfälle — meist ohne die von möglicherweise enthaltenen Schadstoffen ausgehenden Folgen und Risiken zu bedenken — auf Halden, Berghängen oder in natürlichen und künstlich geschaffenen Vertiefungen deponiert oder auf dem betriebseigenen Gelände vergraben wurden. Umweltgefährdende Stoffe aus jenen unsortierten und unkontrollierten Abfällen gelangten in den Boden und in das Grundwasser. Bis 1972 existierten auch wilde Müllkippen, die weder genehmigt noch geduldet waren.Als altlastenverdächtige Standorte werden angesehen: Steinkohlebergbau, Kokereien, Gaswerke; Gewinnung, Herstellung und Verarbeitung von radioaktivem Material; Nichteisenmetallerzbau, -hütten, -schmelzwerke und -gießereien; Mineralölverarbeitung und -lagerung (einschließlich Altöl); Oberflächenveredelung, Härten von Metallen; Herstellung von Batterien und Akkumulatoren; die gesamte chemische Industrie; die Farben- und Lackindustrie; die Glasindustrie; Säge-, Hobel- und Holzimprägnierwerke; die Verarbeitung und das Färben von Papier, Tapeten, Wolle und Baumwolle; Kunststoff-, Gummi- und Asbestverarbeitung; Erzeugung und Verarbeitung von Leder; Ölmühlen und Herstellung von Nahrungsfetten; Klärwerke; chemische Reinigungen; Güterbahnhöfe und Bahnbetriebsanlagen; Flugplätze; Schrott- und Abwrackplätze; Tierkörperbeseitigung und -verwertung; Herstellung von Waffen und Munition und schließlich ehemalige militärische Liegenschaften.Schadwirkungen von AltlastenVon Altablagerungen und Altstandorten kann eine Gefährdung der Umwelt ausgehen, wenn Schadstoffe (1) die Gesundheit des Menschen gefährden oder sein Wohlbefinden beeinträchtigen, (2) Wasser, Böden, Luft, Pflanzen, Tiere und Ökosysteme schädlich beeinflussen. Altlasten gefährden die Umwelt durch Deponiegas, Sickerwasser (als Oberflächenwasser und als Grundwasser) und Staub.Die möglichen Gefahren kann man mithilfe von »Gefährdungspfaden« darstellen, die von der Altlast als Quelle über die unterschiedlichen Ausbreitungsmedien zu den Schutzobjekten (wie etwa Grundwasser, Luft, Tiere, Pflanzen und Sachgüter) gelangen.Besonders wichtige Gefährdungspfade sind:(1) direkter Kontakt, etwa durch das Verschlucken oder Berühren des kontaminierten Bodens (vor allem durch Kinder);(2) Einatmen von giftigen Gasen;(3) Versickerung der Schadstoffe, was zur Vergiftung des Grund- und Trinkwassers führen kann;(4) Verwehung, Versickerung oder Abschwemmung von Schadstoffen, wodurch das aquatische Ökosystem gefährdet wird und sich Schadstoffe in der Nahrungskette (beispielsweise über den Fisch) anreichern können;(5) Schädigung der Vegetation (Pflanzentoxizität), wodurch unter anderem die Landwirtschaft in der Umgebung der Altlast durch Ertrags- und Qualitätseinbußen beeinträchtigt wird;(6) Aufnahme von Schadstoffen durch Pflanzen und Tiere, was zur Schadstoffanreicherung in Nutzpflanzen und pflanzlichen Produkten sowie über die Nahrungskette in tierischen Produkten führt;(7) Beeinträchtigung des Filter- und Abbauvermögens des Bodens;(8) Schädigung von Gebäuden durch Sackung (der Deponieinhalt sackt allmählich zusammen, Gebäude bekommen dadurch Risse) sowie durch Korrosion;(9) Feuer und Explosion, da Deponiegase brennbar und in Gemischen mit Luft explosibel sein können.Vor allem folgende für den Menschen toxische Schadstoffe oder Schadstoffgruppen kommen in Altlasten vor: Schwermetalle (wie Cadmium, Blei, Quecksilber, Chrom, Nickel, Kupfer, Zink); Arsen; anorganische Schadstoffe wie Nitrate und Cyanide; einfache Aromaten (Benzol, Toluol, Xylol); polycyclische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAH) wie Benzo[a]pyren; leichtflüchtige Halogenkohlenwasserstoffe (wie Tetrachlorethen, Trichlorethen, 1,1,1-Trichlorethan) und deren Abbauprodukte; schwerflüchtige chlorierte Kohlenwasserstoffe wie polychlorierte Biphenyle (PCB), Hexachlorcyclohexan (HCH), Chlorbenzole, Chlorphenole, polychlorierte Dibenzodioxine (»Dioxine«); Furane und deren Abbauprodukte.In der Altlastenproblematik spielt der Faktor Zeit eine erhebliche Rolle. Sind etwa giftige Substanzen in Behältern vergraben, dauert es einige Jahre, bis diese undicht werden und die Schadstoffe ins Erdreich eindringen. Ist der Boden direkt mit Schadstoffen kontaminiert, werden sie im Boden transportiert und gefährden schließlich das Grundwasser. Einige Substanzen wandeln sich im Lauf der Zeit chemisch um, andere werden durch Bodenorganismen biologisch abgebaut. Viele Substanzen sind allerdings nur schwer oder überhaupt nicht abbaubar. So verbleiben etwa Chlorkohlenwasserstoffe und Nitroaromaten über Jahrzehnte oder Jahrhunderte ohne nennenswerten biologischen Abbau im Boden oder Grundwasser.Wirtschaftliche und soziale Auswirkungen von AltlastenFür die Ermittlung und Bewertung der altlastverdächtigen Flächen und für die Sanierung der als Altlasten eingestuften Flächen ergeben sich volkswirtschaftliche Kosten von mehreren Milliarden DM. Diese finanziellen und personellen Mittel gehen zum Teil zulasten des präventiven Umweltschutzes.Zu den volkswirtschaftlichen Belastungen kommen die betriebswirtschaftlichen Folgen. Unmittelbar betroffene Unternehmen, denen nach dem Verursacherprinzip eine Schadenshaftung oder eine Verpflichtung zu Abhilfemaßnahmen auferlegt wird, stehen erheblichen finanziellen Forderungen gegenüber.Schließlich bürdet allein die schiere Existenz schadstoffhaltigen und standortfremden Materials der Gesellschaft bereits eine nur schwer einzuschätzende Last auf — regelmäßige Überwachung, Sicherungs- und Sanierungsmaßnahmen, Maßnahmen gegen Gesundheitsbeeinträchtigungen. Die Folgenutzungsmöglichkeiten kontaminierter Standorte sind sehr eingeschränkt. Die gesamte Bauleitplanung und kommunale Bodenpolitik wird damit aufwendiger.Über hunderttausend Verdachtsflächen in DeutschlandBis Ende 1995 sind in Deutschland circa 170 000 Altlastverdachtsflächen erfasst worden, davon etwa die Hälfte in den neuen Bundesländern. Der Bearbeitungsstand bei der Erfassung der Altablagerungen, also der stillgelegten Deponien, ist sehr viel weiter fortgeschritten als bei den Altstandorten; allein durch den Nachholbedarf bei der Erfassung der Altstandorte wird die Anzahl der Verdachtsflächen insgesamt noch ansteigen. Schätzungen nennen eine Anzahl von 240 000 Verdachtsflächen in Deutschland.Die Bewertung von Verdachtsflächen hat sich in den letzten Jahren verändert. Das hat zwei Gründe. Zum einen hat sich das Umweltbewusstsein stark gewandelt. Die Umweltstandards sind angestiegen, was zur Folge hat, dass die Kriterien für eine etwaige Umweltgefährdung sehr viel strenger geworden sind. So werden Flächen, die gestern noch als »sauber« galten, heute als Altlasten eingeschätzt. Zum anderen existierte bis vor kurzem noch keine einheitliche bundesrechtliche Regelung in Bezug auf die Altlastenproblematik; die Bundesländer wendeten Landesabfall- und -altlastengesetze sowie das Baugesetzbuch an. Erst 1998 wurde das Bundes-Bodenschutzgesetz (BBodSchG) verabschiedet, das das Vorgehen bei altlastverdächtigen Flächen regelt — von der Gefahrenerforschung über die Aufstellung eines Sanierungsplans bis hin zur Haftungsfrage.AbfalltourismusUnter den Bezeichnungen »Abfalltourismus« oder »Mülltourismus« ist der Export von Sondermüll in der Presse bekannt geworden. Erstmalig aufmerksam wurde die Öffentlichkeit durch einen Skandal im Zusammenhang mit dem Chemieunfall, der sich 1976 im italienischen Seveso ereignete und bei dem eine erhebliche Menge sehr giftiger Dioxine freigesetzt wurde. Im Herbst 1982 verschwanden unter ungeklärten Umständen 41 Fässer mit dioxinverunreinigtem Bodenmaterial aus Seveso; im Mai 1983 tauchten diese Giftmüllfässer nach intensiver Suchaktion in Frankreich wieder auf.Sondermüll wird aus Deutschland exportiert und — in geringeren Mengen — nach Deutschland importiert; genauso verfahren andere westliche Industriestaaten. In der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre nahm der Transport von deutschem Sondermüll ins Ausland stark zu. Ursprünglich wurde der Abfall vor allem in andere westeuropäische Staaten transportiert und dort entsorgt. Später entdeckte die damalige DDR die Deponierung von Haus- und Giftmüll als willkommene Devisenquelle. Allerdings kümmerte sich die DDR nicht um eine umweltgerechte Entsorgung.Ein Müllexport muss nicht grundsätzlich verdammt werden, denn alles, was an Müll nicht vermieden werden kann, ist dort am besten aufgehoben, wo es unter ökologischen und ökonomischen Gesichtspunkten am besten entsorgt werden kann — und das ist nicht unbedingt im Herkunftsland des Abfalls gewährleistet.Der grenzüberschreitende Transport von Sondermüll zwischen industrialisierten Ländern kann für alle Beteiligten Vorteile mit sich bringen. Anders ist es allerdings, wenn Sonderabfall in Länder gebracht wird, in denen eine umweltgerechte Entsorgung nicht gewährleistet ist, wenn also ein Land regelrecht als preiswerte Müllkippe missbraucht wird. Das Gefahrenpotenzial, das vom Giftmüll ausgeht, können oder wollen einige Staaten der Dritten Welt oft nicht erkennen; sie erhoffen sich dringend benötigte Deviseneinkünfte.Die Menge des in Entwicklungsländer exportierten Sondermülls ist in den letzten Jahren gestiegen. Die dortigen Ökosysteme werden dadurch immens belastet. Da ohne wirtschaftliche Entwicklung kein Umweltschutz und keine Verbesserung der Lebensverhältnisse möglich ist, sich aber umgekehrt auch ohne eine intakte Umwelt keine Entwicklung absehen lässt, wurde das Verlangen nach einer globalen Politik laut, die den Transport von giftigen Abfällen verwaltet und die gewährleistet, dass die weniger industrialisierten Länder nicht mehr als Müllabladeplätze missbraucht werden.Vom exportierten westeuropäischen Müll gehen rund 80 % in andere westeuropäische Länder, 15 % nach Osteuropa und 5 % in Entwicklungsländer. Vor dem allgemeinen politischen Umbruch im Ostblock ging der Hauptteil des Müllhandels von Westdeutschland nach Ostdeutschland, danach orientierte sich der Export — was die östliche Richtung anbetrifft — stärker auf Polen und andere osteuropäische Staaten.Der Mülltourismus ist mit einer Vielzahl von Fehlentwicklungen und Verbrechen belastet. Viele Länder der Dritten Welt wurden Opfer von skrupellosen Müllschiebern. Auch gibt es kriminelle Giftmüllexporte in mehrere Länder des ehemaligen Ostblocks. Nach Angaben des Bundeskriminalamts (BKA) hat sich die illegale Abfallentsorgung zu einem bevorzugten Tätigkeitsfeld des organisierten Verbrechens entwickelt, wobei besonders Giftmüll über Scheinfirmen »beseitigt« wird.Interaktion zwischen importierenden und exportierenden LändernDer Handel mit gefährlichem Müll kann und soll nicht einfach als ein weiterer Aspekt im internationalen Handel angesehen werden, denn er verstärkt nachhaltig regionale Disparitäten zwischen Industrie- und Entwicklungsländern. Während der Export von Sondermüll eine Verbesserung der Umwelt im Exportland bedeutet, wird die Umweltsituation im importierenden Land verschlechtert. Für das exportierende Land lohnt sich der Handel kurzfristig auf jeden Fall, da es die hohen Kosten der Abfallbehandlung einspart. Selbst hohe Transportkosten fallen wegen der umgangenen ordnungsgemäßen — und teuren — Entsorgung nicht ins Gewicht.Die Wirksamkeit des Müllexports auf der Basis einer Kosten-Nutzen-Analyse hängt vom Zeitrahmen ab. Auf kurze Sicht lohnt sich der Export von Müll, da das exportierende Land Mittel und Geld, die es für die Beseitigung von Sondermüll ausgegeben hätte, für andere Dinge nutzen kann. Die importierenden Länder sind kurzzeitig ebenfalls begünstigt, da Fremdwährung in ihr Land kommt, das sie für den allgemeinen Ausbau der Infrastruktur verwenden können. Es gibt sogar Abfallhändler, die ihr Geschäft als Entwicklungshilfe sehen und den Müll als karitative Spenden deklarieren.Langfristig und im globalen Kontext gesehen, sind sowohl der Import als auch der Export nachteilig. Importierende Länder kön- nen sich plötzlich über die Wirkung und die Gefahren des Mülls bewusst werden oder feststellen, dass sie mit der Bewältigung des Problems nicht mehr zurechtkommen. Die chemischen Bestandteile des gefährlichen Mülls können das biologische, chemische oder physikalische Gleichgewicht des Ökosystems stören. Dies könnte zu irreparablen gesundheitlichen und ökologischen Schäden führen. Der Versuch, diese Probleme wieder in den Griff zu bekommen, kann ein Vielfaches von dem kosten, was das importierende Land ursprünglich eingenommen hat; das exportierende Land kann unter Umständen von den ökologischen Folgen selbst betroffen sein, wird aber sicherlich mit Schadenersatzforderungen der Importländer rechnen müssen.Die Diskussionen und Verhandlungen über den Mülltourismus zeigen zwei unterschiedliche Standpunkte auf. Selbstverständlich plädieren Interessenten sowohl in den Industrieländern als auch in den Entwicklungsländern für freien Müllhandel. Gegner dieser Praxis wehren sich gegen jegliche Art des grenzübergreifenden Müllhandels. Sie betonen vor allem die große Diskrepanz zwischen den Müllbeseitigungstechnologien in Industrieländern und der unzureichenden Infrastruktur in den Entwicklungsländern, um den importierten Müll gefahrlos zu entsorgen. Der freie Mülltourismus lässt sich — so die Kritiker — nicht kontrollieren und geht auf Kosten der Entwicklungsländer.Reaktionen des Gesetzgebers und der IndustrieDer Weltmeister im Export von Sonderabfall ist Deutschland. Wegen der hohen ökologischen Sensibilität der deutschen Bevölkerung und verschärften Umweltauflagen wurde der Export immer stärker ausgeweitet. Um die zunehmende Umweltkriminalität rechtlich wirksamer bekämpfen zu können, hat der Deutsche Bundestag mit dem 31. Strafrechtsänderungsgesetz (StrÄndG) von 1994 auch die verbotene und ungenehmigte grenzüberschreitende Verbringung von gefährlichen Abfällen unter Strafe gestellt.Der beste Weg zur Lösung des Abfallproblems besteht darin, möglichst wenig Abfall zu erzeugen, also an der Quelle des Problems anzusetzen. Das erklärt den allgemein akzeptierten Grundsatz: Vermeiden oder Vermindern hat Vorrang vor Wiederverwerten; wenn sich Abfall nicht vermeiden lässt, dann ist Wiederverwerten besser als Entsorgen.Die Industrie hat in vielen Bereichen Schritte in diese Richtung unternommen — einerseits auf Druck des Gesetzgebers und der Öffentlichkeit, andererseits auf der Basis einer Selbstverpflichtung und nicht zuletzt auch aus wirtschaftlichen Gründen. Eine umweltverträgliche Produktion ist nicht automatisch unrentabel; sie kann sogar, beispielsweise durch Recycling, Kosten einsparen.Die deutsche Wirtschaft profitiert inzwischen sogar von den vergleichsweise strengen Umweltauflagen. Sie war zur Entwicklung kostengünstiger Umwelttechnologien gezwungen, was mit dazu beigetragen hat, dass sie heute bei Umwelttechnologien einen Weltmarktanteil von rund 20 Prozent hält. Langfristig gesehen liegt in der Umweltschutztechnik ein großes Potenzial, das in erheblichem Maße auch zur Sicherung des Wirtschaftsstandorts Deutschland beitragen kann.Prof. Dr. Hans-Dieter HaasWeiterführende Erläuterungen finden Sie auch unter:Umweltmanagement: Instrumente und ZieleGrundlegende Informationen finden Sie unter:Schadstoffbelastungen der Umwelt durch die IndustrieEngelhardt, Wolfgang: Umweltschutz. München 61993.Förstner, Ulrich: Umweltschutztechnik. Eine Einführung. Berlin u. a. 51995.Runge, Martin: Milliardengeschäft Müll. Vom Grünen Punkt bis zur Müllschieberei. Argumente und Strategien für eine andere Abfallpolitik. München u. a. 1994.Simmons, Ian G.: Ressourcen und Umweltmanagement. Eine Einführung für Geo-, Umwelt- und Wirtschaftswissenschaftler. Aus dem Englischen. Heidelberg u. a. 1993.
Universal-Lexikon. 2012.